Grenzland-Lebensgefühl

Bauman fährt in seinen Ausführungen über den “menschlichen Abfall” fort:

“Sie [Die Flüchtlinge] sind eine neue Art von Ausgestoßenen und Gesetzlosen, Produkte der Globalisierung und Inbegriff und vollkommene Verkörperung von deren Grenzland-Lebensgefühl. Sie sind nach Agier in einen Zustand der ‚Schwellen-Drift’ versetzt worden und haben keine Ahnung, ob dieser nur vorübergehend oder von Dauer ist.” (Bauman 2005, 108)

Handlung des ausgewählten Filmbeispiels:

Nachdem Navorski die Einreise verweigert wurde, hastet er auf dem Flughafen von Bildschirm zu Bildschirm, um selbst die Meldungen über den Krieg in seinem Heimatland zu hören. Verzweifelt lauscht er den verschiedensten Berichten über den politischen Umsturz in seiner Heimat:

“[...] die Regierung von Krakosien wurde gestern Nacht durch einen Militärputsch gestürzt. Zeugen berichten von nächtlichen Gefechten und Bombardierungen und obwohl die Einzelheiten des Putsches noch unklar sind, wurde uns berichtet, dass Präsident Makobali und seine Berater in Geiselhaft [...] Mitglieder des Regierungskabinetts wurden als Geiseln genommen. Außerdem sollen der Vizepräsident und vier Kabinettsmitglieder getötet worden sein. Es wurden 13 Soldaten und 20 Zivilisten verwundet. Im Morgengrauen hatten Rebellenführer die Staatsgebäude umstellt. Als symbolische Geste wurde vom Präsidentenpalast und vom Parlamentsgebäude die krakonische Nationalflagge heruntergerissen [...]“.

Nachrichten aus der Heimat

Da er überall nur kurze Informationen erhält, landet Navorski schließlich im Business Class Club, wo gerade ein weiterer TV-Bericht über den Kriegsausbruch in Krakosien läuft. Aus dieser Lounge wird er jedoch wieder verwiesen, da er weder eine gültige Bord- noch eine Clubkarte vorzeigen kann. Navorski verlässt die Lounge, und vor seinen Augen verschließt sich sinnbildlich die Tür des Business Class Clubs vor dem TV-Bildschirm: “Crisis in Krakozhia”.

"Krise in Krakosien"

Der Status Navorskis als Ausgestoßener, dessen Land nun aufgrund des Putsches nicht mehr anerkannt wird, und die Ungewissheit ob der Dauer dieses Zustand werden in dieser Filmsequenz sehr gut deutlich. Ihm wird klar, dass er, solange sein Heimatland nicht wieder in die Staatengemeinschaft aufgenommen wird und sich die Umstände dort “normalisieren”, weder zurück- noch in die USA einreisen darf, weil er “nirgendwo dazugehört”. Navorski befindet sich auf dem Flughafen sozusagen im “Niemandsland” und, um es mit Agiers Worten zu sagen, den Bauman in seiner These aufgreift, in einem Zustand der “Schwellen-Drift”. Navorskis Situation des Ausgestoßenseins wird in dieser Sequenz bildhaft unterstrichen, indem sich die Tür der Business Lounge symbolisch vor ihm öffnet und schließt, während innen der Bericht über den Zustand seines Heimatland läuft, den er unbedingt anschauen will. Da er aber kein offizielles Mitglied ist, wird er des Clubs verwiesen, was symbolisch für Navorskis Zustand steht, dass er ebenfalls nicht – mehr – dazugehört. Er befindet sich somit “draußen”, außerhalb der etablierten Gesellschaft, die hier symbolisch für den Nationalstaat und eine Staatszugehörigkeit steht. Er kann zwar einen Blick auf das vom bessere Leben erhaschen – im Filmausschnitt umgesetzt, indem sich die Türen zum Business Class Club immer wieder vor seiner Nase öffnen und schließen – aber er kommt nicht hinein, der Zutritt zum besseren Leben, also die Zugehörigkeit zu einem Staat, daraus resultierend Rückendeckung und rechtlicher Schutz, wird ihm verwehrt.

Zugang verwehrt

Auch die Kommentare, die Spielberg für die Inszenierung der Berichterstattung über den Krieg in Krakosien wählt, wollen wir nachfolgend kurz betrachten, da sie unseres Erachtens mit Sorgfalt und sehr passend ausgewählt worden sind, so beispielsweise der Kommentar: “Unterdessen werden in der leidgeprüften Bevölkerung Zweifel laut, ob im Land jemals politische Stabilität erreicht oder eine Regierung gefunden wird, die der Nation einen Platz innerhalb der Staatengemeinschaft sichert”. Hier wird das von Bauman ebenfalls thematisierte Problem aufgegriffen, wonach sich die Ausgestoßenen in einem Zustand befinden, von dem sie nicht wissen, welche Dauer er haben wird und welche Konsequenzen daraus für sie erwachsen.

Gleichzeitig zeigt die von uns gewählte Filmsequenz auf sehr anschauliche Weise die Hilflosigkeit des Einzelnen und seine bedingungslose Auslieferung an die global operierenden Kräfte. Der Einzelne, also hier Victor Navorski, hat keinerlei Einfluss auf den Lauf der Dinge.

Hilflosigkeit

Er kann nichts tun, außer sich mit dem beängstigenden Gefühl der Unbeständigkeit und Unwissenheit darüber, was mit ihm geschehen wird, abzufinden, selbst wenn er eine Zeit lang an einem bestimmten Ort – hier dem Terminal – verweilt:

“Selbst wenn sie sich vorübergehend an einem bestimmten Ort aufhalten, sind sie dabei auf einer Reise, die nie zu Ende gehen wird, denn ihr Zielort (für Ankunft oder Rückkehr) bleibt für immer unbestimmt, während ihnen der Zugang zu einem Ort, den sie ‚endgültig’ nennen könnten, für immer unerreichbar bleibt. Das zermürbende Gefühl, sich an jedem ihrer Wohnorte im Übergang, in der Unbestimmtheit und in einem Provisorium zu befinden, wird sie niemals loslassen” (Bauman 2005, 108).

Trackback URI | Kommentare als RSS

Einen Kommentar schreiben

 

nach oben