Außenseitertum

Ein weiteres Zitat Baumans, auf das wir in unserer Präsentation eingegangen sind, beschäftigt sich mit dem Aspekt des Außenseitertums:

“Flüchtlinge, der menschliche Abfall des globalen Grenzlandes, sind ‚die Verkörperung des Außenseitertums’, die absoluten Außenseiter, die überall Außenseiter und fehl am Platz sind ” (Bauman 2005, S. 113).

Handlung des ausgewählten Filmbeispiels

Dixon ruft Navorski erneut in sein Büro. Der Krieg in Krakosien ist beendet und Dixon überreicht Navorski einen neuen Pass sowie ein Rückflugticket. Navorski weigert sich jedoch abzureisen, da er zuerst nach New York möchte, um sein eigentliches Vorhaben zu beenden. Daraufhin droht Dixon ihm, dessen neugewonnenen Freunden, die Hilfsarbeiter auf dem Flughafen sind, zu kündigen und über deren Vergehen nicht länger Stillschweigen zu bewahren, sofern Navorski sich nicht endlich Dixons Plänen beugt und den Flughafen Richtung Krakosien verlässt. Navorski möchte unbedingt noch das Vorhaben seines Vaters beenden und die fehlende Unterschrift sammeln, stimmt allerdings – aus Rücksicht auf seine Freunde – konsterniert der Rückreise zu.

Navorski in Dixons Büro

In dieser Filmsequenz wird deutlich, dass Navorski, obwohl der Krieg in seinem Heimatland nun vorbei ist und er wieder rechtmäßig einem Nationalstaat angehört, weiterhin mit derselben Respektlosigkeit und wie ein “Außenseiter” behandelt wird. Sein Plan, noch nach New York zu reisen, um das fehlende Autogramm auf dem Bild seines Vaters zu sammeln, stößt bei Dixon auf enormen Widerstand, weswegen dieser entnervt versucht, ihn davon abzubringen: “Es wird Zeit, dass Sie gehen! [...] Ihre Zeit hier ist um, Navorski!” Damit signalisiert Dixon ein weiteres Mal auf drastische Weise, wie “fehl am Platz” Navorski sowohl auf dem Flughafen als auch in New York City ist. Dies begründet sich darin, dass sich durch die lange – neunmonatige – Zeit des Aufenthalts auf dem Flughafen die Außenseiterrolle Navorskis und die davon ausgehende Karrieregefahr bei Dixon eingebrannt und eine völlige Abneigung gegenüber dem Problem “Navorski” hervorgerufen hat. Er will dieses “Problem” endgültig gelöst haben und sich seiner entledigen. Da Navorski sich aber nicht von seinem Plan abbringen lässt und für sein Recht kämpft, nach New York City reisen zu können, versucht Dixon ihn mit Druck zum Abflug zu bewegen. Navorski steht hier symbolisch für das gesamte Außenseitertum, zu dem jene gehören, die überall fehl am Platz sind, die selbst, wenn es ihnen rechtlich wieder zusteht, nicht den Sprung aus dem Außenseitertum heraus schaffen. Beachtenswert ist in der von uns ausgewählten Sequenz, dass neue Charaktere hinzukommen, Navorskis Freunde, welche er während seiner Zeit auf dem Flughafen gewonnen hat, die scheinbar ebenfalls zum Außenseitertum gehören und von Dixon dementsprechend behandelt werden. Nicht zufällig setzen sich diese Freunde aus einem Inder, einem Latino sowie einem Schwarzen zusammen. Diese drei Bevölkerungsgruppen stellen die Einwanderernationen der USA dar, die durch diese Charaktere symbolisiert werden sollen. Darüber hinaus soll der Umgang mit den Dreien aufzeigen, welche Behandlung sich Ausgestoßene oder – wie Bauman es formuliert – “menschlicher Abfall” selbst im 21. Jahrhundert gefallen lassen müssen. Dixon erpresst Navorski gewissenlos mit dem Schicksal seiner drei Freunde, indem er droht, diese nicht länger zu dulden oder sogar bei den zuständigen Behörden zu denunzieren:

“Als Dienststellenleiter habe ich auch die Aufgabe mich unerwünschten Personals zu entledigen. Und da gibt es Kandidaten. Zum Beispiel Joe Mulroy, sie kennen ihn, glaube ich. Joe arbeitet seit zwanzig Jahren hier und jetzt erfahren wir, dass er allabendlich eine Pokerrunde einberuft, mit Schnaps und Marihuana. Der Ärmste riskiert damit seine Pension. Und er hat doch auch Kinder. Tja… Unser zweiter Kandidat, Enrique Cruz. Enrique kennen Sie doch, glaube ich, auch. Enrique hat, wie sich herausstellt, Leuten Zutritt in den Küchenbereich gewährt”.

Untermalt ist diese Aussage Dixons mit Bildern der Überwachungskamera, die Enrique und Navorski zusammen im Küchenbereich zeigen, wo Enrique sich um Navorskis Versorgung gekümmert hat – ein Freundschaftsdienst.

Navorskis Freunde dienen als Druckmittel

Doch Dixon lässt sich nicht erweichen und fährt unbeirrt fort:

“Eine schwere Verletzung der Sicherheitsbestimmungen. Der Arme! Ist er nicht frisch verheiratet?! Aber dafür muss ich ihm kündigen! Dann hätten wir da noch Gupta Rajan, Reinigungskraft. Aber wie sich herausstellt wird er seit 1979 in Indien wegen versuchten Totschlags gesucht. Ich muss ihn ausliefern”.

Navorski begreift schnell, dass er sich Dixon beugen muss, obwohl er durch die Übergabe seines Reisepasses und der Anerkennung seines Heimatlandes wieder zu einem mündigen Bürger eines rechtmäßig anerkannten Staates geworden ist. Dennoch hat er bei dieser Auseinandersetzung weiterhin die Position des Außenseiters und allseits Unerwünschten, der schlichtweg mit allen nur möglichen Mitteln vertrieben werden soll. Dabei scheint er sogar sein moralisches Empfinden zurückzudrängen.

Navorski muss sich fügen

Diesen Sachverhalt greift auch Bauman auf:

“In diesem Fall steht der äußerst dringliche Wunsch, den schädlichen menschlichen Abfall loszuwerden, dem ausgeprägten Verlangen nach moralischer Rechtschaffenheit gegenüber” (Bauman 2005, 110).

Doch die Antwort, was im Einzelfall letztlich überwiegt, ist ungeklärt. Im von uns gewählten Beispiel hat es durchaus den Anschein, dass das Verlangen nach moralischer Rechtschaffenheit vollkommen in den Hintergrund gedrängt wurde.

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