Der Flüchtling und seine Situation

Im vorherigen Abschnitt haben wir überwiegend das Verhältnis von Flüchtling und Staat beschrieben. Im folgenden Kapitel wollen wir nun spezifischer auf die Situation des Flüchtlings eingehen. Diese werden wir anhand des Films Tor zum Himmel aus dem Jahr 2003 illustrieren. Unsere Wahl fiel auf diesen Film, da wir dem amerikanischen Film The Terminal eine deutsche, ebenfalls nicht-dokumentarische Produktion entgegensetzen wollten, um so eine weitere Perspektive auf den in dieser Arbeit diskutierten Text zu gewinnen. Die Story des Films ist schnell erzählt. Der aus seiner Heimat geflohene und illegal eingereiste Russe Alexej, gerät am Frankfurter Flughafen in die Fänge eines Schleppers und muss fortan als Gegenleistung für dessen Schweigen für ihn arbeiten. Dabei lernt er die Putzhilfe Nisha kennen, die ihre Familie in Indien zurücklassen musste und nun versucht, ihren Sohn illegal nach Deutschland zu schmuggeln. Dank finanzieller Unterstützung Alexejs kann sie den Schlepper bezahlen, und der Sohn kommt an Bord eines Flugzeugs nach Deutschland, wo er jedoch aufgrund einer Verletzung in die Fänge des Grenzschutzes gelangt. Alexej und Nisha gelingt es, den Jungen zu befreien. Über das weitere Schicksal seiner Protagonisten schweigt sich der Film aus, der an dieser Stelle mit einem offenen Ende abschließt.

Somit vermeidet der Film ein übertriebenes Happy End und illustriert nolens volens auch Zygmunt Baumans Gedanken: Auch wenn Alexej, Nisha und ihr Sohn am Ende glücklich vereint sind, was auch der Kulanz des Schleppers geschuldet ist, der auf ein paar hundert Euro verzichtet, sind sie weiterhin kein Bestandsteil der Gesellschaft und scheinen auch keine realistische Chance auf eine Eingliederung (oder Recycling, wie Bauman es bezeichnen würde) zu besitzen.

Dennoch ergeht sich der Film nicht in Pessimismus und entwickelt eine Strategie, die Immersion des Zuschauers und somit seine Betroffenheit von der verhandelten Problematik zu lindern. Die Inszenierung des Films stellt die Liebesgeschichte zwischen Alexej und Nisha und nicht deren Probleme in den Vordergrund. Wenn in der Nacht der Flughafenbetrieb stillsteht, scheinen die Probleme gar ganz in den Hintergrund zu treten, da Alexej seinen Traum, Pilot zu werden, ausleben kann, wenn er sich ins Cockpit setzt und Tagräumen nachhängt, und Nisha während eines nächtlichen Putzeinsatzes ihrem Wunsch, eine Karriere als Stewardess zu starten, Ausdruck verleiht, was in einer aufwendigen und farbenfrohen Tanznummer inszeniert wird. Auf diese Weise hebt der Film “förmlich ab von der Realität, die er durchaus registriert, die er aber immer wieder mit viel Chuzpe in Frage stellt und mit ‚magischen’ narrativen Mitteln konterkariert” (Koll 2003). Somit betrachten wir Tor zum Himmel als deutsches Gegenstück zum schon vorgestellten The Terminal.

Respezifizierung der Theorie

Im Folgenden werden wir anhand einiger Szenen illustrieren, wie auch in diesem Film Zygmunts Baumans Thesen diskutiert werden. Wie bei The Terminal werden wir dabei anhand ausgewählter Zitate das Phänomen schlaglichtartig behandeln.

Bitte wählen Sie den Aspekt aus, der Sie interessiert, indem Sie den Titel anklicken.

Nutzlosigkeit vs. Kriminalität
Aus der Tatsache, dass Flüchtling und andere homines sacri von der “normalen” Bevölkerung ferngehalten werden sollen, zieht Bauman den Schluss, dass eine Eingliederung dieser Menschen in die Gesellschaft nicht erwünscht ist, da ein Bleiben nicht vorgesehen ist: “Flüchtlinge sind menschlicher Abfall, der dort, wo er eintrifft und vorübergehend aufhält, keine nützliche Rolle einzunehmen und in der [...]

Heimatlosigkeit
Schon in The Terminal haben wir anhand einer Sequenz diskutiert, wie die Flüchtlinge mit einem Gefühl der Heimatlosigkeit fertig werden müssen. Bauman beschreibt dieses als ein zermürbendes Gefühl: “Selbst wenn sie sich vorübergehend an einem bestimmten Ort aufhalten, sind sie dabei auf einer Reise, die nie zu Ende gehen wird, denn ihr Zielort […] bleibt für [...]

Menschen als Produkte
“Im Zeitalter der Globalisierung entwickeln sich die ‚Kollateralschäden’ und Kollateralopfer’ […] allmählich zu den (zugleich voluminösesten) Hauptprodukten der Abfallindustrie” (Bauman 2005, 125). Für die Schlepperbanden sind Menschen, wie oben schon angedeutet, nur Produkte, die es zu transportieren gilt. Dabei legen die Banden ein menschenverachtendes Weltbild an den Tag, das Individuen, die an ihrem angestammten Ort nicht [...]

Generelle Kultur des Misstrauens
Anhand der nun folgenden Sequenzen des Films lässt sich eine weitere Vignette der Theorie Baumans illustrieren: die generelle “Kultur des Misstrauens”, die Flüchtlingen, sozial Schwachen und anderen “unerwünschten Individuen” entgegen gebracht wird. Für Bauman erfüllen die ausgegrenzten Individuen in der Moderne die Funktion eines Sündenbocks. Anstatt auf die wirklichen Probleme der Globalisierung zu reagieren, die [...]

  • Keine Kommentare

Trackback URI | Kommentare als RSS

Einen Kommentar schreiben

 

nach oben