Die Moderne und ihr Abfall
In seiner Schrift “Verworfenes Leben – Die Ausgegrenzten der Moderne” fokussiert Zygmunt Bauman einen negativen Aspekt der Moderne: die Produktion menschlichen Abfalls. Hinter diesem Begriff steht in der baumanschen Terminologie mitnichten der Abfall, den die menschliche Zivilisation tagtäglich produziert und dessen Entsorgung unlängst problematisch geworden ist – man bedenke nur die Diskussionen um die Zwischen- bzw. Endlagerung von Atommüll -, sondern der “‚überschüssige’ und ‚überzählige’ Teil der Bevölkerung […], der an seinem Wohnort entweder nicht bleiben konnte oder dem dort die notwendige Anerkennung oder Erlaubnis für einen weiteren Aufenthalt verweigert wurde” (Bauman 2005, 12). Der Begriff des menschlichen Abfalls beschreibt somit menschliche Individuen, deren Existenz durch gesellschaftliche Unerwünschtheit definiert und determiniert ist.
Diese Unerwünschtheit ist dabei nicht dem persönlichen Versagen des Individuums geschuldet – sie ist vielmehr der Logik der Modernisierung immanent. Mit den Worten Baumans:
“Die Produktion ‚menschlichen Abfalls’ ist ein unvermeidliches Ergebnis der Modernisierung und eine untrennbare Begleiterscheinung der Moderne” (Bauman 2005, 12).
Diese Begleiterscheinung erhält in der aktuellen Gegenwart jedoch eine erhöhte Virulenz, da sich ein gesellschaftlicher Umbruch vollzieht, den Bauman als Wechsel von der “festen Moderne” zur “flüssigen Moderne” beschreibt: Das Zeitalter der Moderne beginnt als eines der “festen Moderne”. In diesem Zeitraum ist die Moderne ein Privileg, das nur wenigen Staaten vergönnt ist. Schon in diesem Zeitalter besteht das Problem, dass die entwickelten Staaten überschüssige Individuen produzieren, für die in der modernen Gesellschaft kein Platz vorhanden ist. Die Problematik wird jedoch durch eine globale Lösung für ein lokales Problem gelöst: die Kolonalisierung ist – so die Baumansche Lesart – eine Möglichkeit, den Ausgestoßenen der modernen Staaten eine neue Aufgabe zukommen zu lassen (vgl. Bauman 2005, 13f).
Im Laufe der Zeit kommt es zu einem Siegeszug der Moderne, welchen Bauman vor allem an einer zunehmenden Ökonomisierung des menschlichen Denkens festmacht. In der flüssigen Moderne sei “das menschliche Leben [...] bis in den letzten Winkel der Erde dem Warentausch, der Kommerzialisierung und der Monetisierung unterworfen” (Bauman 2005, 14). Durch diesen Wandel entstehen nun weltweit “überflüssige Menschen”, sodass fortan eine lokale Lösung für ein globales Problem gesucht werden muss. Zukünftig durchdringen die Probleme des
“(menschlichen) Abfalls […] alle Schlüsselbereiche des sozialen Lebens, dominieren tendenziell die Lebensstrategien und führen dazu, daß diese ihren eigenen Abfall sui generis erzeugen: totgeborene unpassende, ungültige oder nicht realisierbare menschliche Beziehungen, die von Anfang an den Stempel des drohenden Dahinschwindens tragen” (Bauman 2005, 15).
Die Suche nach einer Lösung für das Problem besteht dabei nicht in einer erneuten Eingliederung in die Gesellschaft, sondern darin, den dauerhaften Ausschluss unerwünschter Individuen aus der “funktionierenden” Gesellschaft zu sichern. Welches persönliche Schicksal für die Unerwünschtheit des Individuums verantwortlich ist, ist dabei irrelevant:
“Abfall bedarf keiner feinen Unterschiede und subtilen Nuancen, es sei denn, er ist fürs Recycling vorgemerkt, doch die Aussichten der Flüchtlinge, jemals zu legitimen und anerkannten Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft recycelt zu werden, sind, um es vorsichtig auszudrücken, schwach und außerordentlich gering. Alles, was zu tun war, um ihren dauerhaften Ausschluß zu sichern, ist getan worden” (Bauman 2005, 111).
Wir werden im Folgenden die Argumentation Baumans kursorisch nachzeichnen und verschiedene Arten des “menschlichen Abfalls” vorstellen. Dabei werden wir unser Hauptaugenmerk der Kategorie der Flüchtlinge widmen und anhand zweier Filmbeispiele die Thesen Baumans illustrieren.
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